Tag 3

Der dritte und gleichzeitig letzte Tag beginnt quälend, das weiche Bett hält mich einige Minuten länger gefangen als geplant. Als ich aufs Handy schaue sehe ich eine neue Nachricht von Rainer aufblinken: Er ist vor wenigen Minuten bei Kilometer 470 gewesen, und schon im langen anstieg zur Hohen Acht, der höchsten Erhebung der Eifel. Plötzlich bin ich wach, und schreibe ihm „dann hast du mich wohl überholt, ich beeile mich!“. So schnell wie möglich die Radklamotte angezogen, alles in den Gepäckträger geworfen und ab geht es, ebenfalls direkt in den Anstieg zur Hohen Acht. Fehlendes Frühstück hat mich noch nie gestört, heute wird es erst in Mayen, nach der Hohen Acht und weiteren 25 Kilometern eine Möglichkeit zur Verpflegung geben. Ich rechne ein bisschen rum und denke, dass ich Rainer eventuell oben am Kontrollpunkt abfangen kann. Der Anstieg zur Hohen Acht ist herrlich zu fahren, sehr gleichmäßig, und um 5 Uhr in der Früh nahezu verkehrsfrei. Über den geschotterten Parkplatz geht es die letzten Meter auf den Wanderweg hoch zum Bismarck-Turm. Die letzten Meter sind mit weit über 20 Prozent und einer 180° Wende nicht fahrbar, das war schon in der Beschreibung so angekündigt. Selbst mein Rad die letzten 100 Meter hinaufzuschieben ist im Dunkeln eine Herausforderung, mehrmals komme ich trotz meiner Mountainbike-Schuhe ins Rutschen. Oben ist schon ganz langsam etwas Licht am Horizont zu erkennen, nur Rainer habe ich bis hierhin nicht getroffen. Erstmal mache ich das obligatorische Foto, schaue mir den Turm an und überlege. Nach meiner Rechnung kann Rainer eigentlich nur vor mir auf dem Track sein, wahrscheinlich ist er auf dem Weg nach Mayen und plant dort ebenfalls eine Frühstückspause ein.

Kontrolle Hohe Acht, Eifel

Aus Angst vor Auskühlung mache ich mich schnell auf den Weg die Hohe Acht hinunter, direkt hinein in den Sonnenaufgang. Leider ist mir nach wenigen Minuten so kalt, dass die versuchten Fotos allesamt verschwommen sind und maximal unter dem Prädikat „Moderne Kunst“ einzuordnen.

Die Fahrt bis Mayen vergeht wie im Flug, und durch einige kleine Gegensteigungen wird es immerhin ab und zu etwas wärmer in den Extremitäten. Die letzte Abfahrt führt geradewegs durch ein kleines Tal mit Serpentinen nach Mayen hinein. Mein Weg führt mich zur erstbesten Tankstelle, einer Aral mit großem „Frühstücksbuffet“. Ich lasse mir ein Hotdogbrötchen aufwärmen, trinke einen großen Kakao und genieße die Gespräche der Handwerker mit der netten Tankstellenmitarbeiterin. Ein bisschen beschleicht mich das Gefühl nicht der erste Radfahrer zu sein, der bei ihr etwas zerschlagen und mit müdem Gesicht auftaucht und eine längere Pause braucht. Während des Essens stellt sich heraus, das Rainer erst oben auf der Hohen Acht ist, ich habe mich im Halbschlaf derart verrechnet dass ich wieder 20 Kilometer in Front bin. Er schreibt von den kalten Tälern, ist er doch kurz nach Mitternacht losgefahren um das Zeitlimit noch einzuhalten, harter Hund. Ich kann mir vorstellen wie die vielen kleinen Täler der Eifel in der Nacht ihm das Leben schwer gemacht haben. Ich verspreche ihm viele Möglichkeiten zur Verpflegung in Mayen, verschweige vorsichtshalber die Gegensteigungen und mache mit ihm aus, schonmal weiterzurollen. Hinter Mayen geht es auf einen wunderschönen Radweg, der auf einer ehemaligen Bahntrasse angelegt ist und die Stadt Mayen mit dem Ort Münstermaifeld verbindet. Die mit der offizielle Bezeichnung Maifeld-Radweg versehene Strecke ist ideal um die schweren Beine ein bisschen locker rotieren zu lassen, und die Kraft für die letzten Herausforderungen zu sparen. Highlights auf der Strecke gibt es dennoch einige, u.a. das Viadukt über das Tal der Nette, das Lehnen-Viadukt und die beiden ehemaligen Eisenbahntunnel Hausen 1 und Hausen 2. Leider ist das Nette-Viadukt völlig durch große Sicherheitszäune verunstaltet, biete mir aber dennoch einen imposanten Blick über das darunterliegende Tal.

Nette Viadukt auf dem Maifeld-Radweg

Die Strecke bis zur nächsten Kontrolle an der Burg Eltz ist in der Morgensonne unauffällig entspannt, es geht leichte Hügel hinauf und hinab, starke Steigungen sind jedoch nicht in Sicht. Plötzlich macht sich der Kakao bemerkbar, den ich nicht an jedem Tag gut vertrage… So kommt es zu meinem persönlichen Tom Dumoulin Moment, etwas das ich nicht soviel häufiger brauche. Immerhin ist niemand in der Nähe und ich kann mich „danach“ etwas sortieren. Am Parkplatz der Burg lässt mich der Torwächter mit den Worten „Vorsicht in der Abfahrt, es ist steil“ gewähren. Schon lange habe ich auf dem Höhenprofil den kleinen, aber dunkelrot eingefärbten Abschnitt entdeckt, den es nach der Kontrolle in entgegengesetzter Richtung wieder hinaufgehen soll. Froh bin ich, dass wir „nur“ bis zum Balkon mit Aussicht auf die Burg müssen, und nicht die gesamte Abfahrt ins Tal auf dem Plan steht. Dort angekommen hält die Burg, was auf den Informationstafeln groß angekündigt wird: Die Burg Eltz gilt als eine, wenn nicht sogar die schönste Burg Europas, und atmet förmlich die über 900 Jahre alte Geschichte. Ich mache einige Fotos, genieße die tolle Stimmung im Morgenlicht und denke an die nur noch zwei verbleibenden Kontrollen.

Leider habe ich vergessen, in der Abfahrt in einen kleinen Gang zu schalten, so dass ich mir bei den ersten Umdrehungen der Kurbel an der Rampe auf dem Weg Richtung Parkplatz fast einen Krampf hole. Etwas ruhiger geht es ich weiter, Rainer hat mitgeteilt dass es gut läuft und er in seinem Tempo vernünftig vorankommt. Über Münstermaifeld und das wunderbar zu fahrende Schrumpftal geht es zum zweiten Mal auf dieser Runde an die Mosel, erneut ist ein toller Ausblick über den sich träge dahinwindenden Fluss garantiert. Nach der Überquerung beginnt der vorletzte „lange“ Anstieg, den man schon von der Gegenseite aus bewundern konnte. Tolle Serpentinen ziehen sich den Berg hinauf, halb im Schatten liegend sind ein letztes Mal eindrucksvolle Blicke ins Moseltal möglich.

Leider ist der obere Teil des Anstiegs dann eine ewige Quälerei, immer geradeaus bei wenig Steigung aber Gegenwind, so dass man kaum Höhenmeter erwirtschaften kann. Zudem weicht die Ruhe nun dem Lärm der parallel laufenden A 61 für einige Kilometer und die Hitze wird immer drückender. An einer Shell-Tankstelle fülle ich ein letztes Mal die Flaschen und esse noch ein Eis, bevor es ab von der vielbefahrenen Hunsrückhöhenstraße ins Tal des Gründelbachs und unten angekommen direkt wieder in den letzten langen Anstieg hinauf Richtung Utzenhain geht. Von dort ist es nur ein Katzensprung bis zur vorletzten Kontrolle, dem Loreleyblick-Denkmal in Urbar. Dort setze ich mich erstmal für eine Weile in den Schaukelstuhl und genieße den Blick auf Rhein und den berühmten Loreleyfelsen.

Nach einiger schaffe ich es, mich aufzuraffen und den letzten Abschnitt in Angriff zu nehmen. Eigentlich ist der restliche Plan ganz einfach: Abfahrt nach St. Goar, Rheinradweg bis Boppard, und hoch zum Gedeonseck über der berühmten Rheinschleife. Als ich jedoch unten am Rhein ankomme erschlägt mich die Hitze fast. Durch die Tallage heizt es sich dort deutlich stärker auf als in den Tälern zuvor, so dass der Garmin schnell von 30° auf 33° steigt, bevor ich die Temperaturanzeige ausstelle. Das flache Rollen empfinde ich als deutlich unangenehmer, die Zeit geht schleppend vorbei und ich hoffe an jedem Schild das Boppard bald erreicht ist. Irgendwann kommt dann tatsächlich der Abzweig vom Rhein in eine Seitenstraße, und plötzlich wird es ein letztes Mal richtig steil. Zum Glück liegen die letzten 200 Höhenmeter der Tour vollständig im Schatten und es gibt nahezu kaum Autos, so dass die finalen Kilometer noch ganz gut zu ertragen sind. Oben am Restaurant ist viel los, bei dem Wetter haben unzählige Touristen den Weg zu Fuß oder mittels der Seilbahn auf sich genommen. Ich schieße das letzte Kontrollfoto, setze mich in den Schatten und atme erstmal in Ruhe durch. Eine Touristen bittet mich noch Fotos von sich zu machen, und nach zwei bis drei Verbesserungen ist sie zufrieden und erzählt, das Urlaub alleine immer ein bisschen schwierig ist. Ich lächle mitfühlend und weise auch auf die Vorteile hin.

Kontrollfoto Gedeonseck, Ziel
Rheinschleife vom Gedeonseck

Epilog

Leider hat die SR Rheingold einen kleinen Haken: Der aufmerksame Leser hat schon gemerkt, dass Start und Zielpunkt nicht auf dieselben Koordinaten hören. Bis Koblenz sind es durchs Rheintal noch 22 Kilometer, die mit viel Verkehr und der unsäglichen Hitze kaum Anziehungskraft auf mich ausüben. Irgendwann kann ich mich dann durchringen schon vorzufahren und die Rucksäcke aus dem Bahnhofsschließfach zu befreien. Wie am ersten Tag hole ich auch schon den Schlüssel der kleinen Ferienwohnung ab und checke uns ein, um dann endlich unter die kalte Dusche zu springen. Rainer kommt etwa 3 Stunden später, natürlich wie immer entspannt im Zeitlimit, und freut sich das alles schon fertig organisiert ist und er nur noch absteigen und sich aufs Sofa plumpsen lassen muss. Ich freue mich dass wir nun wieder zu Zweit sind, so gehört sich das ja eigentlich auch. Traditionell bestellen wir uns Pizza und ich fahre nochmal los, um ein paar lokale Biere für Rainer und einen Saft für mich zu kaufen. Wir essen, trinken und fachsimpeln noch ein wenig, Rainer erzählt von den Strapazen der Nacht, und wirkt dennoch erstaunlich fit. Ich bin beeindruckt von meinem 39 Jahre älteren Begleiter!

Schlussworte

Die SR Rheingold hat mir einen Riesenspaß gemacht, Felix hat da eine unfassbar gute, verkehrsarme Strecke auf die Beine gestellt. Vor allem die Kontrollspots sind durchweg landschaftliche Highlights, auf die man sich als Zwischenziel immer freuen kann. Die Versorgung war zwar nicht super einfach, aber es gibt auch keine Abschnitte auf denen man Verhungern oder Verdursten würde. Ein ordentlicher Randonneur hat sowieso immer gut im Blick wann er Proviant aufnehmen muss und wann nicht. Von der Schwierigkeit her liegt Rheingold über der Sauberland-Achterbahn, und ist schlicht nicht mit der Ötztalrundfahrt zu vergleichen, da Mittelgebirge und Hochgebirge zu verschieden sind. Ich kann die Runde jedenfalls uneingeschränkt empfehlen, egal ob mit gebuchten Übernachtungen oder einem straffen Ritt mit Blick auf eine schnelle Zielzeit.

Am Ende bleibt nur der Dank an Rainer, wieder mit mir auf die Reise gegangen zu sein. Zusammen haben wir die Herausforderungen wieder einmal unkompliziert gelöst und neben der Anstrengung auch sehr viel Spaß gehabt. Ich hoffe wir können noch die ein oder andere Tour zusammen angehen, die Liste der interessanten Herausforderungen wird nicht kürzer und die nächste Superrandonnée wartet in 2023!

Kontrollkarte: Check!