ARA Berlin 400er, Kapelmuur:
„Von dünnen Reifen und Leichtbau wird abgeraten“. So oder so ähnlich stand es in der E-Mail, die uns Randonneuren den Track des Berliner 400ers erklären und gleichzeitig schmackhaft machen sollte. Zum ersten Mal sollte dieser auch einige Kilometer auf komplett unbefestigten Wegen durch grüne Wälder führen, und nicht nur die in Berlin typischen Kopfsteinpflasterabschnitte, von landwirtschaftlichen Plattenwegen ganz zu schweigen, enthalten. Eine richtige Wahl hatte ich mir dennoch nicht gelassen, mein Pinarello ist nun mal das bevorzugte Brevetrad und durfte deshalb fest mit einem Einsatz rechnen. Vorne 23mm und hinten 25mm Mäntel, und wenig nachdenken in der Vorbereitung.
Samstag früh geht es wie immer mit dem Zug nach Berlin, somit ist der Wecker auf 5 Uhr gestellt, die Sonne scheint da schon und macht das Aufstehen leichter. Das Wetter soll gut werden, erst sonnig, dann viele Wolken, aber zum ersten Mal richtig trocken. Kalt ist es jedoch trotzdem, nur wenige Kollegen fahren in kurz kurz, und auch tagsüber wird es nicht wärmer als 17 Grad.
Der Start ist diesmal nicht am Amstelhouse sondern direkt am Spandauer Schiffahrtskanal. Einschreiben in die zweite Startgruppe auf einem Mauersims, und dann ein bisschen Gequatsche mit bekannten Gesichtern. Rainer fährt heute sein 50. Brevet (Spoiler: alle 50 sind gefinished!), und wird im Ziel einen ausgeben. Dietmar gibt mir Tipps zur Umfahrung eines unangenehmen Abschnitts, always listen to your local guide! Michael L. aus dem Norden begrüßt mich herzlich, Ralf mit seinem tollen Randonneur ist auch wieder da, und auch Rene ist am Start. Letztes Jahr sind wir einige Kilometer beim 400er zusammen gefahren, bis er in den Zug steigen musste. Heute werden wir uns unterwegs wieder treffen und bis zum Schluss eine kleine Gruppe bilden. Statt mich in die erste Startgruppe einzutragen, wie ich es überlegt hatte, habe ich mich entschieden mit meinem Vater zusammen gemütlich in der zweiten Gruppe zu fahren, immerhin war er 6 Wochen lang nicht auf dem Rad.
Der Start ist höchst unspektakulär, und Rainer führt uns auf schönen Wegen aus der Stadt, wenige Ampeln sind diesmal auf dem Track zu finden, es rollt sich so dahin. Wir nehmen die bekannte Route Richtung Schönwalde, 5 km Kopfsteinpflaster zum eingewöhnen. Zugegeben, es ist jenes der kleinen und sehr gut zu fahrenden Sorte, aber die Blase drückt trotzdem bald und wir halten mal kurz an. Beim Versuch die Gruppe wieder einzuholen wird mir zum ersten Mal warm, die Beine fühlen sich ganz gut an heute. Bis Kienberg bleiben wir als Gruppe zusammen, dann folgen die ersten richtigen Prüfungen. Plattenwege der üblen Sorte, teilweise mit mehreren Zentimeter hohen Kanten. Ich habe mich vorher an die vordere Position geschoben, damit ich schnell drüber fahren kann und den Überblick behalte, das funktioniert einwandfrei. Ab und zu muss ich die Daumen drücken dass meine Felge diesen Abschnitt übersteht, aber alles bleibt in Ordnung. Am Ende des Sektors halte ich an, und warte auf die anderen. Papa erzählt mir das Rainer einen Platten hatte, und wir fahren in kleinerer Gruppe ohne ihn weiter. Dafür bemerke ich das Eva auch in unserer Gruppe unterwegs ist, und wir beide fahren eine ganze Weile an der Spitze und machen das Tempo im Gegenwind. Ich lasse mir von der schönen Landschaft an der Mosel erzählen, und berichte selbst von der Heimat Light, die Michael und Eva auch geplant hatten, und die ich mit ihnen fahren wollte. Leider stelle ich fest dass es dazu nicht kommen wird, da ich mal wieder Termine durcheinander gebracht habe, und an Himmelfahrt andere Dinge vorgehen. Zwischen dem ganzen Erzählen geht die Zeit ganz gut rum, wir fahren durch meine Heimatstrecken, vorbei an den Feldern von Friesack, durch Stölln (Dorf der Luftfahrtpioniere) bis zur ersten Kontrolle in Rhinow. Dort entscheiden wir uns für einen kurzen Stopp an der Tankstelle, holen den ersten Stempel und essen die mitgebrachten Brötchen und Bananen.
Ab jetzt führt der Track nach Norden Richtung Mecklenburg, und der Wind kommt nicht mehr so stark von vorn. Unsere Gruppe bleibt vorerst zusammen, es passt noch ganz gut. Die sich abwechselnden Abschnitte von Plattenwegen, Kopfsteinpflaster und wenig befahrenen Asphaltstraßen lassen sich sehr gut bewältigen, auch wenn manche Ecken schon an den Gelenken zerren. Dafür entschädigen uns frisch asphaltierte Fahrradstraßen durch den Wald kurz vor Wittstock, der zweiten Kontrolle. Dort essen wir zum ersten Mal so richtig, ich bestelle zwei Würstchen im Schlafrock, sehr zu empfehlen. Die Kassierer sind super nett, haben extra eine Kasse nur für uns aufgemacht und winken uns durch, so ist es optimal.
Im Anschluss fahren wir zu zweit weiter, Eva befindet sich einige Kilometer vor uns und leuchtet uns mit der rosanen Windweste den Weg. So langsam wird der Rückenwind auch spürbarer, und es fängt an zu rollen. Rene hat sich eine schöne Mahlzeit (kein schnödes Tankstellenessen) in Wittstock gegönnt, und fährt auf uns auf, so dass wir zu dritt unterwegs sind. Die Natur wird immer schöner, ich liebe die Mecklenburger Seenplatte seit dem ich angefangen habe mit dem Rad zu fahren, und heute können wir es richtig genießen. Eva wird wieder eingeholt, und führt uns direkt auf den ersten unbefestigten Abschnitt des Tages, der sich aber noch gut fahren lässt (na gut, ich mag die asphaltierten Stellen lieber, aber das ist kein Geheimnis) und auf einer schönen Straße mitten durchs Naturschutzgebiet mündet. Wir kommen am Cafe Piccolini vorbei, 10 km vor der nächsten Kontrolle. Der Hunger ist größer als die mentale Stärke und somit entscheiden sich Rene und wir für einen Stopp, während Eva weiter fährt. Es gibt Fischbrötchen, Kuchen und Eis, und wir lassen unzählige kleine Grüppchen von Randonneuren vorbeiziehen. 5 km nach dem wir wieder unterwegs sind, bricht auf einem guten Plattenweg meine Vorderlampe einfach ab, und ich sage zu meinem Vater dass ich heute wohl nicht ankommen werde, im Dunkeln ohne Licht werde ich nicht ausprobieren. Resignation vom feinsten, und dass schon beim ersten Problem, in der Hinsicht nicht mein bester Tag. Wir entscheiden erstmal weiterzufahren und später zu überlegen wie es weitergeht, sind ja noch einige Stunden im Hellen zu absolvieren. Den Stempel an der heutigen „Muur“ in Klein Vielen sammeln wir schnell ein, essen ein paar der dargebotenen Süßigkeiten und fahren weiter. Rainer ist auch dort und ich leihe ihm noch schnell einen Schlauch, er hat seine beiden beim erwähnten Plattenweg verbraucht, und ich habe noch drei Stück dabei. Bis Prenzlau sind es 75 Kilometer, die sich durch viele kleine Hügel erstmal etwas ziehen. Zusätzlich folgen der schlechteste Waldabschnitt und Baustellenkilometer, Papa flucht öfter mal, da fehlt ein wenig mentale Ruhe, aber so ist es schon immer gewesen. Und ehrlicherweise kommen wir ohne größere Probleme an der Tankstelle in Prenzlau an, und die Laune ist bei den meisten immer noch gut. Dort gibt es ein Twixx und Gummibärchen für die Rahmentasche, die ich später im Dunkeln Stück für Stück esse, um die Zeit ein bisschen zu verkürzen. Bis zur vorletzten Kontrolle sind es nur 35 Kilometer, dort wollen wir noch einmal richtig essen.
Zwei Randonneure aus Hamburg schließen sich uns bei der Abfahrt an, einen habe ich dort schon beim 400er getroffen. Zu fünft geht es die vielen kleinen Hügel hoch und wieder runter, der Magen hängt ein bisschen durch, aber mit letzter Kraft schaffen wir es doch noch bis zur Kneipe und gönnen uns Buletten mit Kartoffelsalat. Ralf kommt mit der Gruppe nach uns und leiht mir vorm losfahren seine Ersatzlampe, meine Rettung für diesen Tag, falls du das liest, vielen Dank!!
Wir bleiben jetzt bis ins Ziel in unserer Konstellation zusammen, und quälen uns über die schlimmsten Abschnitte der heutigen Runde. In der Dämmerung ist es schon schwierig zu fahren, ab und zu liegt in den Kurven loser Sand, hier ist nochmal Konzentration gefragt. Richtung Werbellinsee werden die Straßen schöner, und im Dunkeln rollt es sich noch ganz gut Richtung Berlin. Die Wälder ziehen sich zwar noch eine ganze Weile hin, wir sehen mehrere Waschbären und auch ein paar Rehe, sowie einen Hasen der sich mit uns ein kleines Wettrennen liefert. Rene zieht uns nach Berlin hinein, wir tauschen ein paar Gummibärchen aus (er hat „ein Rotes“, daran kann ich mich gut erinnern), er kennt den Weg auswendig und wir fahren eine ganze Weile schweigend nebeneinander her, schönes Gefühl. Auch in Berlin läuft es irgendwie flüssiger als sonst, vielleicht sind die Autofahrer alle schon im Bett, wer weiß.
Kurz vor 1 Uhr nachts sind wir im Ziel, Kilometer 410, nicht die schnellste Zeit, aber was solls. Da unser letzter Zug verpasst ist warten wir auf die nachfolgende Gruppe mit Rainer, Ralf, Ingo und Michael (und ein paar weiteren) und trinken alle zusammen noch ein Bier. Ich schenke zusätzlich noch den Rest Transcimbricaschnaps aus, der mich auf allen 400ern begleitet hat, und den ich leider immer nur in kleinen Dosen getrunken habe. Es ist eine so angenehme Runde, und die Zeit bis zum ersten Zug gegen 3 Uhr vergeht wie im Flug. Wirklich schön mal wieder alle Gesichter gesehen zu haben, die mich teils seit dem Anfang meiner Brevetkarriere begleiten, das bedeutet mir eine ganze Menge. Auf dem Weg zum Bahnhof fühlen sich die Beine schon wieder ganz gut an, und trotzdem bin ich froh als wir um kurz vor vier Zuhause aufschlagen. Es wird gerade hell, ich schaufle noch schnell zwei Brötchen in mich hinein und gehe schlafen, schließlich will später am Tag noch in Sachsen gewählt werden und dort muss ich auch erstmal hinkommen.
An solch schönen Tagen kommt mir die Politik wie ein fernes Rauschen vor, die Probleme unserer Welt rücken ein bisschen in den Hintergrund, man kann sich ein bisschen in eine angenehmere Welt träumen. Die Realität holt uns alle schnell genug wieder ein, und deswegen hoffe ich wir sehen uns beim 600er gesund wieder, ich freue mich schon drauf.
Abschlussfazit:
So als Finale könnte man alle 400er mal vergleichen, aber so richtig will mir das nicht gelingen. Sicherlich war der 400er in Hamburg am leichtesten, streckentechnisch gesehen. Die höhenmeterreiche Strecke in Sachsen hat mir super gefallen, die Strecke in Berlin eher zweigeteilt zwischen absolut schöner Landschaft, und wirklich gefährlichen Abschnitten, vor allem in der Nacht für langsamere Fahrer. Daran sollte man bei der Planung durchaus auch mal denken, wir alle machen es zum Spaß, und niemand sollte das Risiko eingehen müssen sich zu verletzen. Das Wetter war in Berlin am besten, in Sachsen einfach nur nass und in Hamburg eher kalt und windig. In Hamburg und Berlin bin ich keinen Kilometer alleine gefahren, in Sachsen knapp 250. Was mir besser gefällt? Keine Ahnung, das ist wie Äpfel und Birnen vergleichen. Wichtiger ist die Tatsache dass ich wirklich immer viel Spaß hatte, mental vor allem in Sachsen neue Grenzen erfahren konnte und wieder einmal viele Menschen getroffen habe die ich gut leiden kann. Jetzt folgt eine kleine Pause bis die 600er Wochen beginnen, die Vorfreude wächst schon wieder. Dann hoffentlich mit Sonne, 30 Grad und Rückenwind.
Danke an alle Mitleser, falls ihr Fragen habt oder Anmerkungen, gerne schreiben. Liebe Grüße, Ole