ARA Sachsen 400er Brevet:
Als Olaf die Strecken rumschickt bin ich richtig glücklich: Eine tolle Tour durch Thüringen, super schöne Landschaften und mit 4000hm auch einem recht anspruchsvollen Profil. Allerdings wird der Wetterbericht ab Mittwoch immer schlechter, so dass am Freitag beim organisieren meiner Radklamotten klar wird: 100 Prozent Regenwahrscheinlichkeit ab dem Start um 10.30, anhaltend bis weit in die Nacht hinein, also wahrscheinlich keine einzige trockene Minute. Ich packe alles ein was den Begriff „Regen“ im Namen trägt: Regenjacke, Regenhose, Regensocken, Regentrikot (nicht zu verwechseln mit dem Regenbogentrikot), Regenhandschuhe… Und so weiter. Ich kann es schonmal vorwegnehmen: Nicht ein einziges Teil davon war am Ende noch trocken, nur das Sitzpolster hat es wie durch ein Wunder geschafft. Die Anreise am Freitag läuft problemlos, und Olaf und ich bauen alles auf was so zur Ausstattung gehört: Bierbänke mit Tischdecken, Getränke, Soljanka, Geschirr, Kaffeemaschine,… als wir fertig sind kommen zwei der Bernauer Leisetreter an, es ist schön noch Gesellschaft zu bekommen für die Nacht. Und so sitzen wir im Anschluss noch eine Weile herum, erzählen und machen uns keine Sorgen um morgen.
Durch den späten Start schlafe ich bist fast 9 Uhr aus, mal ein ganz anderes Gefühl. Allerdings wird so auch die komplette Nacht gefahren werden müssen, Olaf sieht das als Training für alle die nach Paris wollen und dann sowieso nachts fahren werden. Pünktlich um 10 fängt es an zu regnen, allerdings ist ein Großteil der Randonneure sichtlich entspannt. Dann halt Regenhose an, nass wird man eh irgendwann ist der allgemeine Tenor. Vlt sind wir etwas verrückt bei solchen Aussichten 400 Kilometer fahren zu wollen, aber immerhin sind wir uns alle einig. Ich habe mich in die erste Startgruppe eingetragen, da ich die 400er Quali letzte Woche geschafft habe will ich heute ohne Druck fahren und mal schauen was leistungstechnisch so geht. Und so hänge ich mich direkt an Nico, Markus und den Kumpel von Markus und genieße es mit deutlich mehr als 30kmh Richtung Leipzig zu fliegen. Ich habe kurzfristig hinten ein Schutzblech montiert, leider bin ich damit in unserer acht Mann starken Gruppe der einzige. Nur mein Hintermann bedankt sich zwischendurch mal kurz, dass er nicht allen Dreck von der Straße im Gesicht hat. Nach 20 Kilometern steht das Wasser in den Schuhen, nach 40 sind die wasserdichten Handschuhe komplett durch. Bis Weißenfels lasse ich sie an, danach wird erstmal ohne Handschuhe weitergefahren, immerhin ist es relativ warm mit um die 11 Grad. Der Sprintzug geht weiter bis Bad Sulza, wo wir am Netto einen Stempel holen. Markus und sein Begleiter sowie Fiona sind allerdings schnell wieder weitergefahren, so dass Nico und ich eine regelrechte Hetzjagd veranstalten, und dabei unabsichtlich die letzten beiden Mitstreiter abschütteln. Der Wattmesser zeigt irrsinnige Zahlen für meine Verhältnisse an, ich will doch noch 270 Kilometer fahren, und nicht in 10 Kilometern in den Zug steigen. Bis Buttstädt haben wir die anderen wieder erwischt. Fiona fährt direkt weiter, die Gefahr auszukühlen ist immens. Ich folge ihr auf dem Fuße, die anderen machen ein paar Minuten länger Pause. Erst schließe ich zu Fiona auf, um dann zu merken dass ich jetzt gerne mal alleine die Berge hochfahren würde, so dass ich mich zurückfallen lasse. Am Horizont sehe ich für die nächsten 70 Kilometer immer die rote Rapha-Regenjacke schimmern, beruhigend und gleichzeitig weit genug weg um sich alleine fühlen zu können. Nico kommt von hinten an, sein Tempo kann niemand von uns beiden mitgehen, er wird dann knapp anderthalb Stunden vor allen anderen im Ziel sein. 10 Kilometer vor der Kontrolle in Pößneck hole ich Fiona wieder ein und wir fahren gemeinsam den wunderschönen Anstieg nach Hütten hinauf, an dem es eine Kontrollfrage zu beantworten gilt. In Pößneck an der Tankstelle wieder schnell den Stempel, Licht anbauen, kurz eine Cola und ein Gel, dazu zwei Snickers. Nico fährt gerade los als ich auch los will, aber ich warte noch zwei Minuten. Ich will nicht das Risiko eingehen mich anzudocken und zu verausgaben. Jetzt beginnen die Hügel so richtig, es gibt Steigungen von 16%, und der Regen wird immer stärker. Ich fahre über Hochebenen auf denen weder Bäume noch Büsche stehen, einzig der blühende Raps erhellt die Landschaft ein wenig. Leider kommt der Wind jetzt immer mehr von vorne, und die weitgeschnittenen Regensachen bremsen merklich. An irgendeiner Steigung stelle ich fest dass ich meine Handschuhe noch nicht angezogen habe, und jetzt kaum noch die Finger bewegen kann. Bremsen und Schalten? No way my dear. Also kurz in der nächsten Bushaltestelle angehalten, aber ich komme verflixt nochmal nicht mehr in die nassen Handschuhe, ich kann sie nicht einmal greifen um zu ziehen. Irgendwie schaffe ich es mit den Zähnen den linken anzuziehen, rechts wird es nur der Stoffhandschuh mit Überzieher, was solls, irgendwie muss es weitergehen. Bis Glauchau bei Kilometer 310 sind es noch gute 20 Kilometer, und ich überlege fieberhaft wie es ab dort weitergehen soll. Es läuft eigentlich ganz gut, dann in Werdau ein Schlagloch und krach, meine Lampenhalterung liegt samt Lampe auf der Straße, Plastik ist gebrochen. Ich versuche fieberhaft im strömenden Regen den Halter irgendwie an meinen Lenker zu montieren, es dauert gefühlte Jahre bis er wieder fest ist, und ab diesem Zeitpunkt rutscht die Lampe bei Löchern und Unebenheiten nach unten und muss wieder ausgerichtet werden, was solls ich kann da jetzt auch nichts machen. Mental bin ich gerade am Boden, Jugendherberge oder Hotel schießt mir in den Kopf, duschen, schlafen und morgen früh im Sonnenschein weiter, genug Zeit hast du doch. So kommt es dass ich in der Total Tankstelle Glauchau stehe, der Frau erkläre was ich gerade mache, und diese in 6 verschiedenen Hotels für mich anruft. Nirgends melden sich Menschen, im letzten geht zwar jemand ran, legt dann aber auf und drückt uns beim zweiten Versuch weg. Sie tröstet mich etwas, ich trinke einen heißen Tee mit RedBull, und lasse sie ein Gel für mich öffnen. Alleine bekomme ich diesen Schnipsel nicht mehr ab. Der nächste Zug fährt erst um 3, also mehr als 4 Stunden warten… Also ist es eigentlich nicht meine mentale Stärke, sondern die pure Verzweiflung die mich nach rund 15 Minuten (die längste Pause des Tages) wieder aufs Rad treibt und weiterfahren lässt. Noch kurz eine Sprachnachricht verschickt, damit niemand denkt ich liege erfrierend irgendwo im Gras, aber sonderlich motiviert klinge ich sicher nicht mehr. Ich hoffe eigentlich dass Markus von hinten angefahren kommt und mich etwas aufmuntert, allerdings hat sein Kumpel einen Platten und gibt dann auf, und ich sehe Markus erst deutlich später im Ziel wieder, schade. Aber so kann ich die vielen kleinen Hügel in meinem eigenen Tempo fahren, niemand nervt von vorne oder hinten, kaum Autos auf der Straße, und ganz langsam finde ich den Spaß wieder. Wobei Spaß vlt etwas viel gesagt ist, aber eine kleine Vorstufe davon kann ich spüren. Mir ist ganz angenehm warm, nur die Füße sind kalt und seit 15 Stunden nass, aber komischerweise werden sie erst im Ziel anfangen zu brennen und weh zu tun. So geht es immer weiter Richtung Oschatz, vorbei an einer kleinen Dorfdisko vor der ein Haufen Jugendliche steht und mich tatsächlich anfeuert (möglicherweise rufen sie auch andere Dinge, ich höre nur „Allez Allez“). Im nächsten Dorf fahren drei von ihnen mit dem Rad nach Hause und wünschen mir noch eine gute Fahrt beim Überholen, ja Dankeschön und euch auch! An der letzten Kontrolle reiche ich der Frau einfach den Beutel mit der Karte, auf bekomme ich den eh nicht mehr, sie ist schon geübt im Umgang mit uns komischen Vögeln und erledigt alles zu vollster Zufriedenheit. Auch sie darf mir noch ein Gel öffnen, letzte Energiereserven bis Wurzen, noch 30 Kilometer über diese ekligen Wellen. Meine Colaflasche im Trikot wird noch unterwegs leer gemacht, ansonsten passiert kaum noch etwas. Mit jedem Kilometer steigt die Motivation, kommt Energie zurück und ich trete noch einmal richtig rein. Möglicherweise sind es die warmen Gedanken die ich mir mache, aber es läuft wieder. Kurz nach halb fünf komme ich an der Turnhalle an, gottseidank ist die schon aufgeschlossen. Nico erzählt mir später dass er den Safe erst nach einigen Versuchen aufbekommen hat, weil er seine Hände ebenso wenig unter Kontrolle hatte wie ich auch. Nur zwei Fahrer vor mir, heute bin ich stolz auf meine Leistung, natürlich ist es kein Rennen, aber mein Plan hat weitestgehend funktioniert, das war vorher nicht abzusehen. Ich entledige mich meiner nassen Sachen, als ich die Socken ausziehe plätschert es nur so, wasserdicht sind sie, es läuft scheinbar kein Wasser heraus. Die Grundbedürfnisse übernehmen, Strava-Upload und richtig heiß duschen. Mein Bett ist noch von letzter Nacht aufgebaut, so dass ich nach einem Stück Kuchen und zwei Brötchen erstmal schlafen gehe, nicht ohne zuvor Fiona und Nico zu verabschieden, es war ein epischer Tag mit euch.
Als ich gegen 8 wieder erwache trudeln langsam die nächsten Finisher ein, Olaf mit einem Rock aus Müllsack, toll sieht er aus, da kann man noch etwas lernen. Regenjacke hatte er keine dabei, nass wird man sowieso… alle sind sich einig, normal war das Ganze heute nicht. Um 11.30 will ich gerade wieder nach Freiberg aufbrechen als Matthias mit Begleitung ankommt. Sie sind die letzten Stunden in strahlendem Sonnenschein gefahren, und bald wieder trocken. Ich mache noch schnell ein Foto und verabschiede mich, man sieht sich beim 600er.
Was übrig bleibt von dieser Wasserschlacht? Ich weiß nicht ob ich beim nächsten Mal und so einer Vorhersage wieder starten würde, es war mit das härteste Brevet bisher für mich. Andererseits hatte ich auch noch nie so kurze Standzeiten und war so zeitig wieder da, und dieses Gefühl ist durchaus erbauend. Zudem habe ich mich unterwegs, wenns mal gerade nicht ganz so schlimm war, auch richtiggehend lebendig gefühlt, Regen und Wind im Gesicht und die Natur spüren, toll. Schön war der Start in der schnellen Gruppe, besser dann die fast 250 Kilometer Solofahrt durch trübes Grau und Dunkelheit. Diesmal brauche ich etwas mehr Erholung denke ich, die Beine sind okay, der Kopf braucht Zeit um runterzufahren. Wir sehen uns in zwei Wochen in Berlin, dieser Bericht wird dann hoffentlich mit einem dritten Kapitel vervollständigt.
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